Nationalismus ist super, er muss nur von den richtigen kommen

Seit 09.12.24 hängen einige Bilder in der „längsten Telefonzelle der Welt“. Die Initiative „Price of Freedom“, hat es sich mit der Ausstellung zum Ziel gesetzt: „historische Ereignisse, die die europäische Gesellschaft geprägt haben, ins Bewusstsein zu rufen und auf aktuelle Herausforderungen, insbesondere auf den anhaltenden Krieg in der Ukraine, aufmerksam zu machen.“1 Die Ausstellung hätte ein Ort sein können, an dem Darstellungen über die Grausamkeit des Konflikts und das Leid der Ukrainer und Russen in der zerstörerischen Maschinerie des Krieges, auf künstlerische Weise dargestellt wird. Stattdessen sehen wir ein Bild auf dem die „russischen Invasoren, die gekommen sind, um zu töten und die tausendjährige Geschichte zu zerstören, […] der Dünger für die künftigen fruchtbaren ukrainischen Felder und Wiesen sein“ werden. „Kein Mitleid, nur Hass“, schreibt Anastasiia Antonenko selbst unter das Bild. Von der Tatsache, dass auch russische Soldaten unfreiwillig in den Krieg geschickt werden keine Spur. Nein, vielmehr wird der sowjetisch-kommunistische Parasit, die Kakerlake, zerquetscht, vom Springerstiefel vor der Deutschen Nationalflagge. „Wie Kakerlaken verbreitet sie [Die Sowjetunion] Schmutz und Krankheiten, aber man kann sie einfach zertreten.“2 Man muss kein Linker sein, um hier unangenehme Verbindungen zu ziehen. Genug von uns wurden mit denselben Stiefeln und unter derselben Flagge für die „falsche“ (marxistische) Meinung durch die Straßen gejagt. Unglückliche Symbolik? Schlussendlich sind Hammer und Sichel nicht nur das Zeichen der Sowjetunion. Klaus Theweleit schrieb zur Entmenschlichung seiner Feinde durch Insektenvergleiche: „Das straflose Töten, ja, seine Selbstverständlichkeit, vollzieht sich am Killen von Fliegen, Spinnen, Milben, Wanzen, Zecken, Raupen, Maden, Wespen, Mücken [, Kakerlaken] etc.; diese Bezeichnungen gehen in Situationen des erlaubten Tötens [Krieg] »zwanglos« und wie von selbst auf die zu tötenden Menschen über. Die Unterscheidung Mensch/Insekt fällt weg – eine weitere Variante der wegfallenden Unterscheidung von lebendig und tot.“3 Tausende Studenten sollen also bis am 31.12.24 an Darstellungen vorbeilaufen, die Menschen zu zu tötenden Insekten macht. Ein weiteres beliebtes Motiv unter den Bildern der Studierenden, sind Heldendarstellungen ukrainischer Soldaten. Wie oben angeschnitten, sterben im Krieg tausende Menschen für die Interessen einiger weniger. Dass dies als Heldentum gefeiert wird, ist für uns befremdlich. Kriegerisch nationale Heldendarstellungen und Heldenerzählungen, sind Grundlage der Nation und des Nationalismus4 den wir als Linke überwinden wollen. Schließlich stellen die, die für die Freiheit und die Nation kämpfen und kämpften, die Grundlage des gemeinsamen Kerns dar, die ein jedes Volk und die daraus resultierende Nation, in Abgrenzung zu anderen benötigt.5 Dabei darf nicht vergessen werden, dass auch das Konstruktionen sind. Konstruierte Gemeinsamkeiten und Unterschiede, die seit Jahrhunderten Menschen dazu bringen sich zu töten. Der Anspruch der Universität müsste die Überwindung dessen sein. Auch die unkritische Betrachtung des Euro-Maidan durch die Kunstausstellung reiht sich darin ein, auch nur eine Erwähnung der Tatsache, dass rechtsradikale Gruppen eine bedeutende Rolle in den Aufständen spielten, bleibt aus. Es gibt jedoch noch andere Narrative, über die wir gestolpert sind. So prangt ein großes Bild mit der Überschrift „STOP PUTLER“ an der Wand. Schräg darunter ein weiteres Bild „1939 = 2022“, prangt darauf in großen Lettern. „Putins Hakenkreuz Z“, steht unter einem anderen Bild. Wir wollen dazu gar nicht viel sagen. Ja, es ist einer der größten Kriege der modernen Zeit, jedoch bedeutet großer symmetrischer Krieg ausgelöst von einem autoritären System nicht gleich Hitler. Das unterschlägt die einzigartige systematische Grausamkeit des Hitlerfaschismus. Derartige Formen der Holocaustverharmlosung haben an Wänden der Universität Tübingen nichts zu suchen. Auch die Darstellung des Deutschen Stahlhelms, auf dem ein Z prangt, ist einer akademischen Auseinandersetzung unwürdig. Das Ziel „historische Ereignisse, die die europäische Gesellschaft geprägt haben, ins Bewusstsein zu rufen und auf aktuelle Herausforderungen, insbesondere auf den anhaltenden Krieg in der Ukraine, aufmerksam zu machen“ ist also durchaus eine wahre Aussage, auch wenn wir sie offensichtlich anders bewerten, als die Künstler:innen es tun. Wobei wir auch andere Künstler:innen der Ausstellung in Schutz nehmen möchten. Denn andere Darstellungen der Ausstellung drücken das aus, was Kriegskunst für uns ausdrücken sollte. Was das ist, möchten wir am liebsten negativ definieren: Keine nationalistische Propaganda. Denn diese stellt das Problem und nicht die Lösung dar.

  1. Price of Freedom | Universität Tübingen ↩︎
  2. Schreibt Renata Rakhimova unter das Bild. ↩︎
  3. Theweleit, Klaus. Das Lachen der Täter: Breivik u.a: Psychogramm der Tötungslust. 2. Aufl. Unruhe bewahren. St. Pölten Salzburg Wien: Residenz-Verl, 2015. S. 212. ↩︎
  4. Vgl. Theweleit, Klaus. Männerkörper – zur Psychoanalyse des weißen Terrors. Bd. 2. Männerphantasien 2. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 1984. ↩︎
  5. Vgl. bspw. Hoffmann, Lutz (1991): Das ,Volk‘, in: Zeitschrift Für Soziologie, vol. 20, no. 3, s. 191–208, [online] doi: 10.1515/zfsoz-1991-0302 ↩︎