Über uns – Anarchismus

Über uns: Anarchismus

Es ist wahrscheinlich ein bisschen komisch, dass ein parteinaher Jugendverband sich mit Anarchismus auseinandersetzt, aber wir sind der Meinung, dass in dieser Strömung der breiten linken Bewegung wertvolle Erkenntnisse gewonnen wurden, die uns mehr denn je Antworten geben können auf aktuelle Probleme und historische Ereignisse.

Disclaimer: Die hier angesprochenen Themen und Meinungen sind auch intern nicht 100% einheitlich und werden gern diskutiert. Wir hoffen jedoch, dass dieser Text einen guten Einstieg in die Thematik gibt.

 

Was ist eigentlich jetzt der Grundgedanke hinter dem Anarchismus?

Die Basis bildet die Theorie, dass die Freiheit der Menschen zu einem besseren Leben für einzelne Personen, aber auch der Gemeinschaft führt. Die Probleme der aktuellen Gesellschaft sind auf Hierarchien (=Machtgefälle) zurückzuführen, die sich nicht rechtfertigen müssen, da sie durch direkte oder strukturelle Gewalt durchgesetzt werden. Da diese Gewalt oft eine Reaktion erzeugt, setzt ein friedliches Zusammenleben ein herrschaftsfreies voraus.

 

Bedeutet Anarchie nicht Chaos?

Das Auflösen von hierarchischen Strukturen nimmt in der anarchistischen Theorie einen ebenso großen Anteil ein wie das Ersetzen durch neue Organisationsformen, die sich nicht auf Zwang stützen. Die Notwendigkeit zwischenmenschlicher Organisation dürfte sehr schnell klar werden und der Nutzen von z.B. Arbeitsteilung ist immens. Deshalb liegt das Ziel von Anarchist*innen meist im Erreichen einer neuen Ordnung und nicht im Abschaffen jeglicher Regeln der Zusammenarbeit. 

Um das nach außen zu tragen wird oft als Symbol das A im O verwendet, was für ‚Anarchy is order‘, also ‚Anarchie ist Ordnung‘ steht. Leider ist das Symbol durch die Popkultur sehr vereinnahmt und wird heutzutage oft gleichgesetzt mit ungerichteter Rebellion und Chaos.

 

Welche Grundprinzipien gibt es?

Freie Assoziation, Dezentralität, Gleichheit, Kooperation, Rechtfertigungspflicht von Hierarchien und direkte Aktion sind Schlagworte, die oft in diesem Zusammenhang fallen. 

Nach der Logik der freien Assoziation, soll die Gesellschaft aus Zusammenschlüssen, Verträgen,… aufgebaut werden, die zwischen freien Parteien gebildet werden. Damit ist gemeint, dass es keinen Zwang gibt sich zu assoziieren, also etwa negative Konsequenzen beim Austritt/ Nicht-Eintritt, außer das Verpassen von Vorteilen durch den Zusammenschluss. Das beste Gegenbeispiel ist hier wahrscheinlich der Staat, welcher ab der Geburt nicht die Wahl lässt, ob wir ihm angehören möchten oder nicht. Eine Aufgabe des Staates ist z.B. die Erhaltung der Straßen. Ein Gegenmodell wäre ein Verkehrsverein, dem interessierte Menschen angehören und finanzieren. An dem Beispiel lässt sich schon ein Vorgehen, bei den Zusammenschlüssen erkennen. Ein Mensch hat ein Bedürfnis, wie etwas von A nach B zu kommen und sucht sich andere Leute, um das Bedürfnis für sich und andere zu erfüllen.

Damit einzelne Organisationen keine Macht anhäufen, werden oft dezentrale oder föderale Organisationsstrukturen bevorzugt. Die Aufteilung von Organisation ermöglicht Teilhabe von allen und verhindert, dass Strukturen unumgänglich werden.

Gleichheit ist eine wichtige Voraussetzung, um dem Individuum möglichst viel Handlungsfreiheit zu ermöglichen. Durch einen ungleichen Zugang zu Ressourcen, kommt es dazu, dass ein privilegierter Teil der Gesellschaft einen anderen, materiell benachteiligten Teil ausnutzen kann.

Die Kooperation/gegenseitige Hilfe ist eine notwendige, sowie in Natur und Mensch tief verwurzelte Fähigkeit, zusammenzuarbeiten. Kritik am Kapitalismus bezieht sich häufig auf Strukturen, in denen Menschen gegeneinander arbeiten, statt miteinander. Wir gehen davon aus, dass Kooperation im Vergleich zu ständigem Wettbewerb Arbeit spart und effizienter ist.

Natürlich gibt es gewisse Machtverhältnisse, die schwer auflösbar sind oder sogar nützlich sein können. Diese müssen sich rechtfertigen, um ihren Fortbestand zu sichern. Zum Beispiel hat eine Architektin deutlich mehr Ahnung vom Hausbau und damit einen klaren Vorteil gegenüber dem späteren Bewohner des Hauses. Dass nicht jeder diese lange Ausbildung machen muss oder kann, liegt auf der Hand. Also liegt eine Begründung dieser Wissenshierarchie in der notwendigen Effizienz.

Mit einer direkten Aktion werden ungerechte Hierarchien angepackt, oder konkrete Ziele verfolgt. Statt an mächtige Personen zu appellieren wird dabei eine parallele Struktur aufgebaut, die die Aufgabe übernimmt. Das kann etwa ein Streik sein, der die Ausbeutung durch die Inhaber eines Unternehmens verhindert und eine Betriebsversammlung, die versucht die verwaltende Position zu übernehmen und so die Machtposition des Chefs überflüssig zu machen.

Diese Aufzählung ist natürlich nicht vollständig und auch zu einzelnen Punkten können durchaus verschiedene Ausprägungen und Meinungen existieren. In speziellen die Diskussion um gerechtfertigte Hierarchien und ob es so etwas überhaupt gibt, ist heiß geführt. Oder, um es mit Emma Goldman zu halten: „Der Anarchismus spornt den Menschen dazu an, jede Behauptung zu durchdenken, zu untersuchen und zu analysieren.“.

Geschichte und Unterschiede zum Marxismus

Die Aufteilung der ersten Internationale ist wahrscheinlich das beste Beispiel um den Unterschied der anarchistischen zur marxistischen Bewegung herauszustellen. Grund für die Spaltung war vor allem die Frage nach der Übergangszeit in eine staaten- und klassenlose Gesellschaft. Während Marx die ‚Diktatur des Proletariats‘ als einen notwendigen Schritt für eine junge Revolution ansah, argumentierten vor allem Bakunin und sein Umfeld, dass eine Machtergreifung ohne die folgende Auflösung des Machtapparates zu einer weiteren Unterdrückung führen würde und somit das vorrangige Ziel sein muss, diese Macht dauerhaft zu brechen.

Trotz der Spaltung in zwei Internationalen waren sich jedoch beide Lager auch damals schon bewusst, dass eine Zusammenarbeit möglich und notwendig ist, um gemeinsame Ziele zu verwirklichen. Denn der Traum nach einer gerechteren Welt verbindet diese beiden Strömungen bis heute.

    Wie werden geschichtliche Ereignisse, wie der Realsozialismus eingeordnet?

    Im linken Kontext kommt mensch nicht darum herum, sich mit der Vergangenheit des Realsozialismus zu befassen. Der Standpunkt von vielen Anarchist*innen ist, dass der Staatssozialismus sehr leicht zur Schaffung einer neuen Klasse an Herrschenden führt. Wenn die neue Ordnung nur durch strukturelle Gewalt des Staates erhalten werden kann, ist sie es nicht wert erhalten zu werden. Zudem zwingt das agieren am Weltmarkt den Staat dazu, selbst als Kapitalist zu agieren um im internationalen Wettbewerb gut da zu stehen. Hinzu kommt, dass jede Planung natürlich auch mal Fehler macht. Hier gilt: je zentraler, desto größer die betroffenen Bereiche. Unternehmen planen ihre wirtschaftlichen Entscheidungen auch, jedoch ist bei einem Fehler das Wegfallen eines einzelnen Unternehmens meist nicht so schlimm, wie bei einer Fehlkalkulation eines monopolistischen Staates oder internationalen Großkonzerns. Im Prinzip sind Anarchist*innnen oft nicht prinziell gegen eine Planung der Wirtschaft, aber eben so herrschaftsfrei wie möglich. 

    Kurz: Es wurde eine Hierarchie geschaffen, die sich selbst nicht rechtfertigen musste, sondern sich mit Gewalt selbst erhalten hat. Aber, nicht an den Versuchen zu lernen und einfach alles als schlecht abzutun wäre zu einfach gedacht.

    Demokratie und Anarchie? Es ist kompliziert.

    Das Verhältnis von Anarchie und Demokratie ist seit jeher kompliziert. Zwar stellt die Demokratie eine große Verbesserung gegenüber noch weiter zentralisierten Herrschaftsformen dar, wie etwa der Monarchie, aber sie beinhaltet immer noch die Unterdrückung von Minderheiten, wie z.B. Anwohner*innen einer Kohlegrube.

    Gleichzeitig bedienen sich viele anarchistische Organisationen demokratischer Elemente, wie etwa Abstimmungen, Redelisten,… da diese sich als praktisch herausgestellt haben.

    Der Unterschied liegt meistens in der Frage nach der freien Assoziation. Während demokratische Strukturen einen Herrschaftsanspruch vertreten, sollte es bei anarchistischen Strukturen immer die Möglichkeit der Distanzierung von der Struktur geben. Anderes gesagt, ist eine gewünschte Demokratie in einem anarchistischen Überbau vollkommen möglich, aber anders herum nicht.

     

    Was sind aktuelle Geschehen im Bezug auf den Anarchismus?

    Die wohl bekannteste Hochburg von umgesetzten anarchistischen bzw. libertär-kommunistischer Ideen befindet sich derzeit in Rojava. Die kurdische Befreiungsbewegung setzt zusammen mit anderen Volksgruppen in der vom syrischen Bürgerkrieg gezeichneten Region die Prinzipien des demokratischen Konföderalismus um, welcher auf den Säulen Demokratie, Ökologie und Geschlechterbefreiung beruht. Ob die komplette Organisationsstruktur als anarchisch bezeichnet werden kann, sei dahingestellt, aber es werden Ideen wie der Konföderalismus und die Gleichheit erfolgreich umgesetzt. Zudem stellt das Modell Rojava dem Konzept des Nationalstaats eine nicht-staatliche Organisationsstruktur entgegen. Da das ganze ein längeres Thema ist, belassen wir es hier damit. Weitere Beispiele an aktuellen Bewegungen sind die Frauenbewegung, sowie die Zapatistas in Mexico, oder auch viele andere lokale und internationale Organisationen. Informiert euch gerne selbst, über die Geschichte und Gegenwart des Anarchismus in der Welt.

       

      Wenn du Fragen hast oder einfach gerne ein wenig zu unseren Ideen diskutieren möchtet, schau doch gerne mal im Plenum vorbei  <( ̄︶ ̄)> oder schreib eine Mail.